
Bobby, Gusto Gräser Flugschriften
Rotes Luch – Grünhorst
Von Waldsieversdorf bis Madrid hat Otfried Schröck, begeisterter Heimathistoriker und stets auf Suche nach Zeugen und Zeugnissen der Vergangenheit seines Lebensumfelds, ein Netzwerk gespannt. So wundert es nicht, dass der Waldsieversdorfer und seine Ehefrau mit Nachfahren derer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Roten Luch lebensreformatorische Ansätze verfolgten und praktizierten, unterwegs waren.
Grundlage dieser Expedition ist Schröcks jüngstes Buch „Spuren in der Landschaft“ und seine Ausführungen zu „Die Siedlung Grünhorst“ und „Die Kaverno di Zarathustra“. In diesen Kapiteln beschreibt er zwei, von ihrem Ansatz her sehr verschiedene Siedlungsprojekte, die bisher kaum Bekanntes über jene Genossenschaftssiedlung bzw. Künstlerkolonie vermitteln. Sie widerspiegeln, so der Autor zur MOZ, die zahlreichen lebensreformerischen Strömungen, wie sie sich von 1900 bis in die 1930er-Jahre auch in Brandenburg dargestellt haben.
1921 ließ sich Dr. Heinrich Goldberg, ein Berliner Frauenarzt, mit seiner anarcho-kommunistischen Kommune am Rande der Asche im Roten Luch nieder, hat Schröck herausgefunden. Die Fläche sei von dem Waldsieversdorfer Grundherren Hans von Flemming gepachtet gewesen. Goldberg nannte seine Kommune in Anlehnung an Nietzsches fiktiven Religionsstifter Zarathustra „Kaverno di Zarathustra“ und sich selbst „Filareto Kavernido“. Er scharte ein Reihe von Anhängern beiderlei Geschlechts um sich, lebte mit ihnen in Höhlen, die man sich in die Halde grub, propagierte und lebte die freie Liebe, lief nackt herum und baute gärtnerische Kulturen zur Selbstversorgung der Gruppe an. 1926 ging er mit seiner Kommune nach Südfrankreich und später in die Dominikanische Republik, wo er 1933 unter ungeklärten Umständen umkam.
Schröcks akribische Recherchen ergaben weiter, dass Filaretos Parzelle und eine einfache „Bretterbude“ im Roten Luch im Frühjahr 1926 von Artur Streiter übernommen wurden, der seit seinem 16. Lebensjahr der Kommune angehört hatte. Streiter, später Graphiker, Schriftsteller, Maler und Anarchist, lebte und arbeitete bis 1930 unter primitivsten Umständen im Roten Luch. Auch er versuchte, eine Kommune zu gründen und Gleichgesinnte für ein Leben dort zu gewinnen, was ihm aber nicht gelang. 1930 verließ Streiter das Rote Luch, ging zurück nach Berlin und starb 1946 mit 41 Jahren an Lungenentzündung in Schönow. Dort hatte Streiter übrigens laut MOZ 1945 die erste neue Volksbibliothek im Bernauer Umland eröffnet. Unweit der Kaverno di Zarathustra hatte zudem die Tochter des Künstlers, Dichters und bekannten Lebensreformers Gusto Gräser 1930 das Anwesen Grünhorst auf der westlichen Seite des Roten Luchs in der Gemarkung Garzau übernommen. Hier lebten bis 1936 mehrere Künstler, Lebensreformer und Aussteiger. „Grünhorst wurde zu einem Treffpunkt der Wandervögel, der Biosophischen Bewegung und des sich gegen den Nationalsozialismus formierenden Widerstandes. Grünhorst war zu dieser Zeit so etwas wie der grüne Mittelpunkt Deutschlands“, sagt Schröck. Mit der Enkelin von „Filareto“, Maja Tovar, und ihrem Mann aus Madrid und der Enkelin von „Gusto“ Gräser, Angela Gräser, sowie George Kamp und Joachim Bayer (alle Berlin) suchten Elisa und Otfried Schröck nun vor wenigen Tagen Spuren der beiden Siedlungen.
Von Grünhorst, das Schröck schon auf dem Urmesstischblatt von 1841 fand und es das Haus der Garzauer Torfstecher nennt, fanden sich noch einige Fundamentreste, die die Lage der Gebäude erahnen ließen. Auch der für menschliche Siedlungen typische Flieder und einige Obstbäume seien vorhanden und eine mächtige Linde breite kühlen Schatten aus, registrierte er.
Schwieriger war es mit der Spurensuche bei der Kaverno di Zaratustra, da die Kommunenmitglieder nur in Höhlen, von Zeitzeugen „Hottentottenkraal“ genannt, und einer Bretterbude gehaust hatten. Anhand verschiedener Belege (Zeitungsartikeln jener Zeit, Pachtlisten, Mitteilungen damaliger Akteure und eines Luftbildes von Alliierten vom Frühjahr 1945) konnte zwar ein wahrscheinlicher Standort bestimmt werden. Überreste der Siedlung aber waren nicht mehr vorzufinden.
„Die einzige sichtbare Spur, die Artur Streiter in der Region hinterlassen hat“, so Otfried Schröck, „ist ein Ölgemälde, das sich noch heute in der Familie seines damaligen Auftraggebers befindet.“
Mehr dazu in der Reihe Waldsieversdorfer Miniaturen: Otfried Schröck, „Spuren in der Landschaft – Beobachtungen am Wegesrand“, ISBN 978-3-00-045106-5
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Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte – Vortrag „Die „Höhle des Zaratustra“ und der „grüne Mittelpunkt Deutschlands“ im Roten Luch (1921–1936)
„Einfach. Natürlich. Leben. Lebensreform in Brandenburg 1890–1939“
Dr. agr. Otfried Schröck, Waldsieversdorf
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